H2-Strategie Rheinland-Pfalz: Nutzung von Wasserstoff in Industrie, Mobilität und Energie sektorenübergreifend voranbringen

Die zentralen klima- und umweltpolitischen Herausforderungen unserer Zeit machen entschlossene wirtschaftspolitische Weichenstellungen sowie eine umfassende Mobilitätswende unausweichlich. Die weitreichende Dekarbonisierung der industriellen Produktion, des Mobilitäts- sowie des Energiesektors ist die Voraussetzung fürden Fortbestand von Wertschöpfung und Beschäftigung. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der exportorientierten Wirtschaft am Standort Rheinland-Pfalz mit ihrem starken Kraftfahrzeug- und Industriesektor. Dabei gilt es, sektorenübergreifende Synergien zu identifizieren und systematisch zu nutzen. Nur so gelingt die Abkehr von fossiler Energie bei gleichzeitiger Sicherung von Wohlstand und Arbeitsplätzen in Rheinland-Pfalz.

Für die Energiewende wird mittel- bis langfristig CO2-freier Wasserstoff in der ganzen Bandbreite seiner Möglichkeiten benötigt: Als Energieträger, als Treibstoff in der Mobilität, aber auch sektorenübergreifend sowie zur Erzeugung von Wärme und Strom in Gebäuden (Kraft-Wärme-Kopplung), als Rohstoff in der chemischen Industrie und für emissionsarme Produktionsprozesse.

Um sektorenübergreifend die Versorgung mit CO2-freiem Wasserstoff sicherzustellen, ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien unverzichtbar. Die Landesregierung hat hier bereits wichtige Fortschritte erzielt und will bis zum Jahr 2030 die komplette Stromversorgung in Rheinland-Pfalz aus Erneuerbaren erreichen. Der Bedarf an Wasserstoff muss vorrangig durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien und ergänzend durch Importe abgedeckt werden.

Aus wirtschafts- und industriepolitischer Sicht bietet Wasserstoff durch die mit ihm einhergehenden komplexen Technologien den Vorteil einer vergleichsweise hohen Wertschöpfungstiefe und Chancen, nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für den Export deutscher Technologien, die zudem am Standort zu realisieren sind. Ein Beispiel sei hier zum einen die Brennstoffzelltechnologie und ihre im Vergleich zu rein batterieelektrischen Antriebslösungen wesentlich größeren Potenziale für die rheinland-pfälzische Automobil- und Zulieferindustrie genannt, zum anderen strombasierte synthetische Kraftstoffe (E-Fuels), die im Gegensatz zu herkömmlichen Kraftstoffen wie Diesel oder Benzin, nicht auf Basis von Erdöl, sondern aus erneuerbarem Strom, Wasser und CO2 hergestellt werden. Sie binden bei der Herstellung so viel CO2, wie sie später bei der Verbrennung wieder in die Atmosphäre abgeben und sind damit klimaneutral.

Im Mobilitätssektor wird sich aus reinen Effizienzgründen der Einsatz von Grünem Wasserstoff oder von synthetischen Kraftstoffen, die auf der Grundlage von Grünem Wasserstoff hergestellt werden, auf die Anwendungsfelder beschränken, bei denen batteriegestützte direktelektrische Antriebe auf Grund technischer Rahmenbedingungen nicht eingesetzt oder nicht wirtschaftlich betrieben werden können. Hierzu gehören nach heutigem Stand der Technik insbesondere der Luftverkehr, die Schifffahrt, der Schienenverkehr auf nicht elektrifizierten Strecken sowie schwere Nutzfahrzeuge und Busse.

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Rheinland-Pfalz befindet sich dabei in einer guten Ausgangslage. Unternehmen und Hochschulen im Land verfügen bereits über wertvolle Kompetenzen in relevanten Bereichen wie der Speichertechnologie. […]

Das Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten hat im Juli 2019 gemeinsam mit dem Verband industrieller Kraftwerkswirtschaft (VKI) und relevanten Akteuren einen Runden Tisch Wasserstoff gegründet und ist dort seither in mehreren Gesprächsrunden zum Thema Wasserstofftechnologie in engem Austausch mit Experten in diesem Bereich aus der chemischen Industrie, der Energiewirtschaft, Technologieherstellern, wissenschaftlichen Einrichtungen sowie Fachverbänden der Wirtschaft.

Dieses Knowhow gilt es durch eine noch stärkere Vernetzung zu bündeln und im Sinne einer Weiterentwicklung des Wasserstoffstandorts Rheinland-Pfalz zu nutzen. Es ist sinnvoll und notwendig, diesen Vernetzungsprozess über die Landesgrenzen hinweg zu denken und im Schulterschluss mit den Nachbarländern voranzutreiben. Eine enge Verzahnung mit der ansässigen Industrie ist dabei unerlässlich. Bedarfe und heute schon verfügbare Mengen an Wasserstoff müssen transparent erfasst werden, um in der Phase des Markthochlaufs zielgenau auf den vorhandenen Binnenmarkt zurückgreifen zu können. […]

Eine rheinland-pfälzische H2-Strategie muss im Einklang mit den Klimazielen nach der Maßgabe der Technologieoffenheit entwickelt werden. Sie muss im Dialog mit Wirtschaft und Wissenschaft technisch, wirtschaftlich und mit Blick auf die zeitliche Umsetzung bewertet werden. Das Ziel ist eine CO2-neutrale Wirtschaftsweise.

Langfristig muss auch klar sein: Eine Produktion von CO2-freiem Wasserstoff in wirtschaftlich relevantem Maßstab ist nur bei einem zeitgleichen massiven Zuwachs bei der regenerativen Energieerzeugung möglich. Wasserstoff als breit einsetzbaren Energieträger wird es ohne einen entschlossenen Ausbau der Wind- und Solarenergie nicht geben; die zusätzlichen Bedarfe sind im EE-Ausbaupfad zu berücksichtigen. Eine Strategie, die diesen Aspekt nicht berücksichtigt, greift zu kurz.

 

Der Landtag begrüßt,

– die Vielzahl bestehender Initiativen und konkreter Projekte auf dem Zukunftsfeld Wasserstoff in Wirtschaft und Wissenschaft in Rheinland-Pfalz;

– den im Juli 2019 durch das Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten gemeinsam mit dem Verband industrieller Kraftwerkswirtschaft (VKI) gegründeten Runden Tisch zu Wasserstoff;

– die „Wasserstoffstrategie für Nutzfahrzeuge“ durch das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau;

– die durch die Landesregierung stetig vorangetriebene enge Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft durch Cluster und Initiativen am Standort Rheinland- Pfalz;

– den bereits erreichten hohen Ausbaustand an Erneuerbaren Energien sowie die Einrichtung der Energieagentur Rheinland-Pfalz durch die Landesregierung und ihren Beitrag zur Unterstützung von Aktivitäten zur Energiewende und zum Klimaschutz;

– die Vorlage erster Leitlinien für eine nationale Wasserstoffstrategie durch den Bund und deren anstehende Konkretisierung;

– die Vorlage des „Europäischen Grünen Deals“ und den darin skizzierten Fahrplan mit dem Ziel einer nachhaltigen EU-Wirtschaft.

 

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

– den Prozess zur weiteren Erarbeitung einer rheinland-pfälzischen H2-Strategie durch die verantwortlichen Ressorts in bewährter Zusammenarbeit zu verstärken,

– hierzu in einem ersten Schritt mit der systematischen Erfassung vorhandener Ressourcen und Kompetenzen in Rheinland-Pfalz zum Thema Wasserstoff in Wirtschaft und Wissenschaft zu beginnen, um auf Basis der so gewonnenen Erkenntnisse einen intensiven Expertendialog anzustoßen,

– die Verwendung von Wasserstoff für die stoffliche Nutzung und die Nutzfahrzeugindustrie weiterzuentwickeln, da dort Einsatzszenarien naheliegend sind,

– die rheinland-pfälzische H2-Strategie in enger Abstimmung mit Wirtschaft, Wissenschaft und relevanten Institutionen und Initiativen in Ergänzung zur Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung sowie zum europäischen Green Wasserstoffstrategie auf Bundesebene eng zu begleiten,

– die Forschung und Entwicklung zu fördern, indem geografisch und thematisch klar abgegrenzte Experimentierräume geschaffen werden, in denen durch Absenkung der Strombezugskosten Innovationslust und Unternehmergeist geweckt werden,

– dafür zu sorgen, dass Information und Beratung zur Verwendung von Wasserstoff für die jeweiligen Sektoren (Energie, Mobilität, Industrie) transparent aufgearbeitet und zur Verfügung gestellt werden,

– den Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter voranzubringen und sich auf Bundesebene weiterhin konsequent für faire Wettbewerbsbedingungen einzusetzen und ein klares Bekenntnis zum technologieoffenen Ausbau erneuerbarer Energien abzugeben sowie den Abbau von Ausbau-Hemmnissen für Erneuerbare Energien im EEG einzusetzen,

– die Entwicklung von Energiepartnerschaften unter der strikten Einhaltung von Menschenrechten und Klimafreundlichkeit vorsichtig auszutesten und aufzubauen.

 

Es handelt sich um einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen der SPD, FDP und Bündnis90/DIE GRÜNEN.